Monday, January 18, 2010

A typical Christmas day (an exercise in German prose)

Der Weihnachtstag 2009 (written on Dec. 25, 2009, in Mülheim an der Ruhr, Germany)

Erkältung (A), Übelkeit (C), ganztägiger Schneeregen bei positiver Außentemperatur, schnell überhitzte Räume, Telefongespräch mit kürzlich verwitweter Tante, die sieben Personen und einen Hund zum Essen erwartete.
Onkel und Tante, die zum Mittagessen geladen wurden, stehen um kurz nach 11 Uhr auf der Matte.
Gespräche über dies und das: kürzlich Verstorbene und in wilder Ehe lebende Kinder von Freunden und Bekannten; dann schlägt der Rauchmelder Alarm, der wohl zuviel penetranten Gänsekeulendampf abbekommen hat.
Onkel G. setzt zur ersten seiner unendlichen Geschichten an: der Neubau der Straße (Renovierung der Frisch- und Abwasserrohre, Gasrohre, unterirdische Verlegung der bisher überirdischen Stromleitung), die Probleme mit seinem DSL-Internetanschluss und die seines Nachbarn, ein möglicherweise kostspieliges Versehen seines Gasversorgers bei der Rechnungsstellung durch ein fehlerhaftes Ablesen der Gasuhr, die mehrtägigen Verhandlungen zur Beseitigung des Fehlers und ein in der Zwischenzeit aufgetauchter Korruptionsskandal beim überörtlichen Gasversorger.
Zum Mittagessen gibt es auf Wunsch des Hausherrn Gänsekeulen, die zum Leidwesen der Hausfrau etwas zu hart geraten und kaum vom Knochen zu trennen sind. Die sonst eher empfindliche Tante lässt plötzlich das Besteck neben dem Teller liegen und greift mit bloßen Händen nach dem Geflügelbein. Die tapfere Hausfrau bietet sich schließlich zum fachlichen Zerlegen an und wird selbst ein nur noch mäßig warmes Festtagsessen zu sich nehmen. Als Beilagen werden gereicht: Rotkohl, Salzkartoffeln, Nudeln und Reis. Die sonst eher empfindsame Tante bestreut den roten Kohl großzügig mit Kümmel und tauscht kurz darauf ihr kaum berührtes Weinglas gegen das leere des Onkels aus. Sie ist entsetzt darüber, dass ihre Großnichte, die sie zuvor erst einmal gesehen hat, keine gepflegte Konversation auf Deutsch mit ihr führt und so wenig für sie wahrnehmbare Ähnlichkeit mit ihrem Neffen aufweist.
Zur Zeit der Mittagsruhe läuft die Spülmaschine im Schnellwaschgang und der Onkel erzählt ein oder zwei weitere der unendlichen Geschichten. Dazu hatte sich die Gesellschaft vom Ess- ins Wohnzimmer bewegt; zum Kaffee und Kuchen wird die Gegenbewegung vollzogen. Die wohlmeinende Hausfrau hat einen riesigen Berg Schlagsahne vorbereitet, obwohl nur zwei der Tafelnden diese zum Kuchen essen. Der Hausherr wird nervös, wenn nicht alle Anwesenden auf ihren Plätzen sitzen, sondern sich z.B. um die Obstmahlzeit seiner Enkelin kümmern oder seinen Kaffee herbeischaffen.
Nach dem Kaffeetrinken wird erneut der Weg ins etwa fünf bis sieben Meter entfernte Wohnzimmer eingeschlagen. Nun darf der Onkel endlich die auf der Karte seiner Digitalkamera gespeicherten Fotos vorführen. Damit alle daran teilhaben können, sucht er schnell im Auto das Kabel zum Anschluss an den Fernseher.
Die zweijährige Großnichte wundert sich über die unendliche Abfolge von Bildern einzelner Blumen und Obstbäume aus dem Garten des Onkels und fragt ihre Mutter, glücklicherweise in der für den Großonkel unverständlichen Fremdsprache, nach dem Grund und ob man damit nicht aufhören könne. Dabei war der Onkel noch gar nicht bei den Fotos mit Details zu Wärmedämmungsarbeiten und Kabelverlegung im Haus angekommen.
Die eher gelangweilt-gelassene Stimmung kippt merklich, als die Tante die Hausfrau fragt, ob sie schon das Essen für ihre Geburtstagsfeier im Februar geplant habe. Die Antwortet lautet, dass es vorher noch Wichtiges zu erledigen gebe, und dann erklärt sie, dass sie sich im Januar bereits zum dritten Mal einer Blasenkrebsoperation unterziehen muss. Obwohl diese Operation normalerweise recht unproblematisch und nur mit kurzem Krankenhausaufenthalt verbunden ist, dämpft diese Nachricht die Feststimmung deutlich.
Aber bald darauf gibt es Ablenkung durch das Abendessen...

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